"Ich bin König, doch bin ich arm. Vielleicht macht die Legende einst aus mir den Weisen, der kam, den Heiland zu verehren und ihm Gold darzubringen. Das wäre, obschon es in gewisser Weise der Wahrheit entspricht, eine pikant-bittere Ironie. Die anderen haben Gefolge, Bediente, Reittiere, Zelte, Tafelgeschirr. Und das mit Recht. Ein König tut keinen Schritt ohne gebührende Begleitung. Ich bin, abgesehen von einem alten Mann, der mich nicht verläßt, allein. Mein alter Lehrer und Erzieher begleitet mich, nachdem er mir das Leben gerettet hat, aber in seinem Alter bedarf er meiner Hilfe mehr als ich seiner Dienste. Wir sind von Palmyrenien zu Fuß hierher gekommen wie Landstreicher, und unser ganzes Gepäck ist ein schwankendes Bündel auf der Schulter. Wir sind durch Flüsse und Wälder, durch Wüsten und Steppen gewandert. Um uns nach Damaskus hineinzuschmuggeln, haben wir uns mit Mütze und Schnappsack als reisende Händler zurechtgemacht. Um nach Jerusalem hineinzukommen, haben wir uns Stab und Käppchen der Pilger zugelegt. Denn wir hatten ja ebenso sehr die Leute aus meiner Heimat zu fürchten, die hinter uns her waren, wie die Einheimischen in den Gegenden, durch die wir kamen, denn die sind Reisenden, deren Land und Stand unklar sind, feindlich gesinnt."
Das ist aus Michel Tourniers "Kaspar, Melchior und Balthasar", das, wie ich gerade sehe, unter dem Titel "Die Könige aus dem Morgenland" wieder neu aufgelegt ist.
Eines meiner liebsten Bücher; ich les es immer wieder gern - vor allem natürlich zur Weihnachtszeit. Ganz besonders liebe ich die Geschichte von Taor, dem Prinz von Mangalore, der sich auch aufmacht, dem Kometen zu folgen und den Heiland zu verehren, aber unterwegs in Gefangenschaft gerät und erst dreiunddreißigeindrittel Jahre später in Jerusalem ankommt.
Im Englischen heißen die Heiligen Drei Könige übrigens "The Three Wise Men". Find ich immer wieder bemerkenswert, daß da von Königtum gar nicht die Rede ist. Und der Dreikönigstag ist schlicht "Epiphany", und die meisten Leute hier wissen gar nicht, was es damit auf sich hat. (Ist auch kein Feiertag hier.)
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